Wat? Wo willste hin?

Segla

Heute machen wir eine Wanderung auf den Berg »Segla«, der 639 Höhenmeter beträgt. Wir tragen Spikes, um gut über gefrorene Passagen zu gelangen. Es ist eine gemütliche Wanderung, die es allein durch den Schnee und das Einsinken ohne Schneeschuhe erst anstrengend werden lässt. Wir sind frohen Mutes, haben keine großen Erwartungen und sind hauptsächlich los gewandert, um draußen zu sein und uns zu bewegen. Doch das, was uns erwartet, damit hätten wir nicht gerechnet. Wir gehen die letzten steileren und gefrorenen, aber nicht gefährlichen Abschnitte entlang bis hoch auf den Grad. Als der auf unsere Schuhe gerichtete Blick nach oben schweift, verschlägt es uns den Atem. Damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet. Die Bilder beschreiben es besser, als Worte. Das prachtvollste Naturwesen ist gleich auf der gegenüberliegende Seite. Sie hängt kraftvoll und ganz in sich verankert zwischen mehreren Bergkuppen. Die Sonne. Sie strahlt uns direkt an, steht nur knapp über den Bergspitzen, gleich gegenüber. Oh Sonne »we have a crush on you«. Wir sind verliebt. Sie lässt die Landschaft mystisch und gleichzeitig warm aussehen. Mit unserer rosaroten Brille müssen wir wortwörtlich noch aufpassen nicht den Boden unter unseren Füßen zu verlieren. Wir fragen uns, wie kann etwas, was wir so gut kennen, was in allen Jahreszeiten vorhanden ist, im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und im Winter, doch immer wieder so faszinieren? Gerade jetzt nach Tagen, an denen wir Wind und viele Wolken am Himmel hatten, feiern wie sie. Wir würden ihr am liebsten ein Liebesgedicht schreiben, eine Ode an die Sonne.

Gestern Abend schauten wir den wundervoll gedrehten Film »Das Mädchen aus dem Norden« oder nach dem Originaltitel »Sameblod«. Es geht um ein 14-jähriges Mädchen, welches aus dem indigenen Volk der Sami stammt und ihre Geschichte erzählt. Der Film handelt über die systematische Ausgrenzung der Sami im Schweden der 1930er Jahre.

Nach ein paar Recherchen finden wir heraus, dass schon vor über 10.000 Jahren die Vorfahren der Sami die eisigen Regionen in Nordeuropa bewohnten. Heute leben noch knapp 70.000 Samen in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Dabei leben die meisten von ihnen in Nord Norwegen. Sie sind das einzige indigene Volk Europas und haben eine eigene Sprache, eigene Kultur und Tradition. Es gibt auch ein Musikfestival der Sami auf dem vor allem, sowie auch im Film, gejoikt wird. Es ist ein traditioneller Kehlgesang, eine Art Mischung aus Jodeln und indigenen Gesängen. Wer interessiert ist, kann sich auf Youtube das »Joiken« anhören.

Es gibt außerdem einen wunderbaren Artikel, um mehr über die Samen zu erfahren: https://www.deutschlandfunkkultur.de/goldrausch-in-lappland-rentierzuechter-verteidigen-100.html

2.2.2022

Fjordgård

In Fjordgård sind wir in einer Ferienwohnung untergebracht. Das kleine Fischerdorf mit seinen 213 Einwohner:innen liegt im nördlichen Teil der Insel Senja, der zweitgrößten Insel Norwegens. Es ist ein Airbnb, in dem wir housekeeping machen, also Zimmer für Gäste herrichten, Schnee schippen und kleine Arbeiten im und um das Haus verrichten. Was unser großes Glück ist: ein kleiner Supermarkt mit den wesentlichen Lebensmitteln fußläufig erreichbar. Natürlich haben wir zuvor keinen Gedanken daran verschwendet, wie wir unsere Lebensmittel beschaffen. Glück in dem Sinne also, da hier nur zwei mal am Tag ein Bus fährt und die nächste Stadt mit dem Bus zwei Stunden entfernt ist. Als wir den Supermarkt in Fjordgård erkunden, strahlt uns eine junge Supermarktverkäuferin an. Sie gibt uns gleich den Eindruck, dass sie weiß, wir sind die Neuen und fragt, ob wir in Haus Nummer 10 wohnen würden. Wir bejahen und merken, dass hier anscheinend jede:r jede:n kennt und das Haus mit der Nummer 10 wohl berüchtigt dafür ist, dass dort die »Neuen« wohnen. Bevor wir mit reichlich Lebensmitteln bepackt rausgehen, drückt sie uns ihre Visitenkarte in die Hand und sagt auf Englisch »hier, falls euch mal etwas ausgehen sollte und wir geschlossen haben, oder ihr Fragen habt, ruft einfach an«. Wir kehren mit einem guten und umsorgten Gefühl in unser neues Heim, in dem wir für 2,5 Wochen wohnen werden.

In den ersten Tagen hört es kaum auf zu schneien. Der Schnee fasziniert uns, einfach von seiner Vielseitigkeit. Es gibt ungefähr um die 90 verschiedenen Schneekristalle. Je nach Temperatur, nach Kälte oder Feuchtigkeit, jedes Schneekristall fällt anders vom Himmel. Und vor allem bringt hier jeder Schneefall 30 cm mehr Schnee mit sich. Lassen wir einmal Schippen aus, addiert sich die Menge und es häufen sich immer größere Schneeberge an. Wir bemerken außerdem, dass Schneeschippen eine Art Gemeinschaftsprojekt ist. Denn sobald es wieder ordentlich geschneit hat, finden wir alle Nachbar:innen auf der Straße und könnten ihnen doch glatt mit unseren Schneeschaufeln zu winken. Die Einwohner:innen kommen in ihren Einteiler-Schneeanzügen auf die Straße gestapft und schippen, was das Zeug hält. Dabei gibt es auch verschiedene Techniken. Die modernste hier in Fjordgård ist die Nutzung einer Schneefräse. Wer möchte kann dies einmal in einer Suchmaschine eingeben. Wir, mit unserem manuellen Schneeschieber, sind da fast schon old school.

Womit wir außerdem unseren Einklang finden müssen, ist die kurze Zeit, in der das Tageslicht der Landschaft ihre Helligkeit schenkt. Mitte Januar betrug diese Zeit nur eine Stunde, was anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Der Körper geht zunächst davon aus, dass Dunkelheit bedeutet, der Tag nimmt langsam sein Ende. Wir werden müde und ein innerliches Gefühl von dem Wunsch nach Gemütlichkeit fliegt auf. Doch es ist 12:30 Uhr. Demnach noch lange keine Schlafenszeit, schließlich sind wir erst vor 4,5 Stunden aufgestanden. Doch mit der Zeit gewöhnen wir uns daran und finden einen guten Rhythmus das Licht für Spaziergänge und kleine Wanderungen zu nutzen und lieber unsere Arbeitszeit auf später zu verlegen. Schließlich lässt es sich auch gut mit Kopflampen arbeiten. Was uns bei unseren Spaziergängen im Dorf auffällt, dass in den Fenstern Lichter hängen. Es erinnert uns an das abendliche Schlendern durch eine Stadt, wenn Lichter in den Schaufenstern angelassen werden, damit sich vorbeiziehende Menschen die warmen Wintermäntel anschauen können. Es wirkt auf uns gemütlich, heimelig und schön hergerichtet. Und erinnert uns außerdem an den Begriff »hygge«, der aus dem Dänischen kommt und »Wohlbefinden verbreiten« und »gemütlich« bedeutet. Hier in Norwegen wird dazu »Kos« gesagt, was »Wärme, Freundlichkeit, Fürsorge« beschreibt.

So langsam bleibt es etwas länger hell. Wir haben jetzt bereits schon 5 Stunden Tageslicht, bis die Sonne wieder untergeht. Die kommende Woche soll es nicht mehr so viel schneien und bewölkt sein. Vielleicht haben wir Glück und sehen die »Aurora borealis«, also das Polarlicht. Auf dem letzten Bild gibt es einen kleinen Vorgeschmack. In einer klaren Nacht haben wir uns fern aller Straßenlichter auf den Weg gemacht, um sie zu sehen. Ihre volle Pracht konnten wir noch nicht bestaunen, aber das wird schon noch!

30.1.2022

5 Tage

Wir möchten nicht mehr fliegen. Denn nach wie vor ist es weder innovativ noch umweltfreundlich. Innovation bedeutet für uns, dass Strategien für die Klimaanpassung und Konzepte für die Steigerung der Nachhaltigkeit mit eingeplant werden. Und sicherlich wird dieser Schritt irgendwann einmal kommen: Nachhaltigkeit im Flugverkehr. Doch jetzt entscheiden wir uns für eine längere Anreise in den hohen Norden Norwegens. Wir entscheiden uns für die aufwendigere Option, weil wir Zeit haben, weil wir nicht beruflich unterwegs sind und es keine Notwendigkeit, keinen Notfall gibt, schnell an einen weit entfernten Ort zu kommen. Dieses hohe Gut der Zeit nutzen wir für unsere Reise, die bis zu 350 km oberhalb des Polarkreises reicht. Wir wissen darum, dass nicht alle Menschen diese Chance ergreifen können oder sogar wollen. Somit sind wir dankbar dafür, dass wir es uns ermöglichen können, Zeit zu nehmen. Das erinnert mich an das Buch »Zu Fuß hält die Seele Schritt« von Achill Moser, der besagt: »Wer geht, kommt bei sich selbst an«. So verbinden wir auch das langsame Reisen damit, im Moment zu sein und auch bei uns selbst anzukommen. Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern den weiten Weg mit als Reise zu betrachten. Die kleinen Momente zu genießen, zum Beispiel zwei Stunden am Hafen auf die Fähre zu warten, ins dunkle Meer zu schauen und sich alle 15 Minuten die Frage zu stellen »ist dir noch nicht kalt?«. Meistens kommt ein kurzes »Nein« zurück, »wir haben ja jetzt neue Daunenjacken«. Oder zu sehen, wie eine Hand voll Personen mit uns durch das Terminal zur Fähre gehen. Wir denken also »Toll, ihr seid also auch die, die im Winter mit öffentlichen Verkehrsmitteln Norwegen bereisen«. Was es wirklich heißt mit öffentlichen Verkehrsmitteln Norwegen im Winter zu bereisen, folgt gleich. Um unsere erste Station auf Senja zu erreichen, fahren wir Zug, Fähre und mit verschiedenen lokalen Bussen. Einen wunderbaren Luxus gönnen wir uns mit einem Bett für jede Nacht. Andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel Zelten oder Biwakieren, sind bei den Temperaturen für uns nicht zu schaffen. Auf der Fähre von Dänemark nach Oslo schlafen wir somit in einer kleinen Kajüte. In diese passen unsere drei großen Rucksäcke gut rein. Nach Trondheim geht es tagsüber weiter mit dem Zug, um schließlich in Trondheim den Nachtzug nach Fauske Stasjon zu nehmen. In diesem super kleinen Schlafabteil sieht es nun ganz anders aus, unser Gepäck passt so gerade rein, wie auf dem Foto zu sehen ist. Diese Bahn wird »Nordlandsbanen« genannt. Es wird der Teil des norwegischen Eisenbahnnetzes bezeichnet, der Trondheim und Bodø verbindet. Sie ist die einzige Bahnstrecke in Norwegen, die den Polarkreis überquert. Über Nacht fahren wir ca. 9,5 Stunden und kommen am nächsten Tag an. In Fauske Stasjon endet der Schienenverkehr. Wer möchte, kann gerne einmal »Nordlandsbanen« in einer Suchmaschine eingeben und nach Bildern suchen. Es ist eine wunderschöne Landschaft, die wir leider nicht gesehen haben, da wir über Nacht gefahren sind und somit geschlafen haben. Leider gibt es auf dieser Bahnstrecke immer viele Rehntierunfälle. Im Jahr 2020 gab es insgesamt 457 tote Tiere. Bei Tiefschnee von einem Meter hätten die Tiere Schwierigkeiten gehabt, an ihr Futter zu kommen. Um bessere Plätze aufzusuchen, nutzen die Tiere die Gleisen um voranzukommen. Alle Beteiligten arbeiten nun daran, dass es zum Beispiel durch Zäune zu weniger Unfällen mit den Tieren kommt.

Weiter geht es von Fauske Stasjon mit dem Bus nach Narvik. Die beiden großen Rucksäcke kommen in das Gepäckfach, welches sich am Bus unten befindet. Endlich eine Fahrt im Hellen. Also 1,5 Stunden ist es hell. Die Berge sind weiß ummantelt und überall ist Schnee. Wegen der leicht angestiegenen Temperaturen sind die Straßen jedoch matschig und voller Pfützen. Der Busfahrer kann sich nicht zurückhalten jede Pfütze mitzunehmen. Für ihn wahrscheinlich ein Riesenspass. Für uns nicht. Als das Pfützenwasser durch die Lüftungsschlitze über den Boden läuft, wissen wir, dass wir mehr als einen Wäscheständer brauchen. In Narvik angekommen, geht die Klappe der Gepäckbox auf. Wir, einschließlich des Busfahrers schauen auf unsere triefenden Rucksäcke. Er entschuldigt sich und wir ziehen die klitschnassen Rucksäcke auf unseren Rücken. »Takk« denken wir. Kurze Zeit später ist auch unser Rücken durchnässt. In Narvik haben wir ein paar Stunden Aufenthalt. Unsere App, mit der wir die Reise geplant hatten – eigentlich wollen wir weiter nach Tromsø, schickt uns eine Warnung. Auf der Strecke Narvik – Tromsø ist eine Lawinen runtergekommen. Alle Fahrten fallen aus. Spontan suchen wir also ein günstiges Hotelzimmer auf, auch um unsere Kleidung zu trocknen. Zum Glück hat die Dame an der Rezeption noch vier Kleiderbügel für uns. Das Hotelzimmer als kurze Entspannungsoase zu sehen, kommt also nicht in Frage, wie man auf dem Foto sehen kann. Nun sind wir also damit beschäftigt unsere kompletten Rucksäcke zu leeren, Möglichkeiten zum Aufhängen zu suchen und uns in eine Art Rhythmus aus Zimmer heizen und lüften zu begeben. Immerhin, am nächsten Tag ist alles »bügeltrocken« und nun heißt es: Next Stop: Fjordgård.

Na dann auf zu 5 Tagen Anreise …

  • Station 1:
    • Zugfahrt Aachen – Hamburg / Übernachtung in HH
  • Station 2:
    • Zugfahrt Hamburg – Frederikshavn, Dänemark – Fähre Frederikshavn – Oslo, Norwegen / Übernachtung auf der Fähre bis Oslo
  • Station 3:
    • Zugfahrt Oslo, Norwegen – Trondheim, Norwegen – Nachtzug Trondheim – Fauske Stasjon / Übernachtung im Zug
  • Station 4:
    • Busfahrt Fauske Stasjon – Innhavet – Narvik / Übernachtung in Narvik
  • Station 5:
    • Busfahrt Narvik - Buktamoen – Finnsnes Kai – Sjaneset – Fjordgård, Senja
23.1.2022